Das Spielwerk von Pianos und Flügeln
Was Klavierspieler über ihr Instrument wissen sollten
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Vorwort  –1 Taste, Hebeglied und Hammer  –2 Leder, Filz und Holz  –3 Das Zusammensetzen  –4 Die Achsen  –5 Die Spielart  –6 Niederdruckschwere und Aufgewicht  –7 Die Tastatur  –8 Die Auslösung  –9 Der Nachdruck  –10 Der Fang  –11 Die Schnabelluft  –12 Das Leisepedal  –13 Die Bändchenluft  –14 Die doppelte Auslösung  –15 Die Federn  –16 Die Dämpfung  –17 Die Verschiebung  –18 Die Tonhaltung  –19 Pralleisten  –20 Intonation


6 Niederdruckschwere und Aufgewicht

Klavierbauer messen die statische Niederdruckschwere, indem sie auf das vordere Tastenende Gewichte auflegen. So kann man feststellen, ab welcher Belastung die Taste sich zu bewegen beginnt. Da die Hämmer zum Baß hin stetig schwerer werden und wegen sonstiger Unregelmäßigkeiten, ergeben sich von Ton zu Ton Unterschiede. Man legt deshalb eine bestimmte Niederdruckschwere fest und gleicht alle Tasten danach aus. Das Mittel, mit dem dieser Ausgleich geschieht, ist simpel: In die Tasten werden seitlich Löcher gebohrt, in die man Bleistöpsel einsetzt. Fast jeder Hersteller wirbt in seinen Prospekten damit, daß jeder einzelne Ton genauestens austariert wird, aber dies ist nichts Besonderes und eine Selbstverständlichkeit.

Beim Ausbleien bleiben zwei Werte unberücksichtigt: Reibungswiderstände, die erst im unteren Drittel des Tastenweges auftreten (deren Natur wird noch zu besprechen sein), und das Gewicht der Dämpfer, die ja ebenfalls durch die Tasten bewegt werden. Jeder Spieler dürfte schon einmal bemerkt haben, daß das Klavier bei getretenem rechten Pedal leichtgängiger wird, weil dann der Fuß die Dämpfer anhebt und deren Gewicht nicht mehr auf den Tasten lastet. Man mißt die Niederdruckschwere deswegen bei getretenem rechten Pedal. Gebräuchliche Werte liegen zwischen 45 und 50 g (Steinway-Flügel 47 g), bei großen Konzertflügeln auch mehr.

Dieses Maß ist isoliert betrachtet von geringer Aussagekraft. Für die Spielart entscheidend ist nämlich nicht nur, mit wieviel Widerstand die Taste abwärtsgeht, sondern vor allem auch, wie lebendig sie wieder hochkommt. Im Idealfall müßte es ja eigentlich so sein, daß sie sich bei 50 g senkt und wieder aufwärts geht, wenn man 1 g davon wieder wegnimmt, dann hätte sie ein Aufgewicht von 49 g. In der Realität ist das Aufgewicht jedoch wesentlich geringer. Als noch tragbaren Wert kann man 20 g annehmen. Die Differenz aus der Niederdruckschwere und dem Aufgewicht ergibt sich aus den auftretenden Reibungen.

50 g Niederdruckschwere bedeuten noch nicht, daß dann schon ein Ton zu hören wäre. Vielmehr geht die Taste nur bis zu dem Punkt abwärts, an dem weitere Widerstände auftreten, die nur bei der Abwärtsbewegung zum Tragen kommen und für die Aufwärtsbewegung keine Rolle spielen.

Das Verhältnis zwischen Niederdruckschwere und Aufgewicht ist das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Spielart. Es bestimmt, wie gut ein Instrument repetiert. Außerdem unterstützt ein ausreichendes Aufgewicht die Aktivität der Finger. Z.B. mißlingen Pralltriller etwa in der Reihenfolge 2., 3., 2. Finger Anfängern oft deswegen, weil der erste Ton mit zuviel Druck ausgeführt wird, der 2. Finger bleibt quasi stecken und kommt für den nächsten Anschlag nicht rechtzeitig wieder hoch. Fortgeschrittene lassen einfach locker, und dann hilft eine gut repetierende Mechanik dem Finger von alleine wieder aufwärts, während eine schlecht repetierende zum aktiven Hochreißen der Finger zwingt.

Nun gilt allerdings für das Aufgewicht dasselbe wie für die Spielschwere: Es ist nur ein statischer Wert. Wenn man weiß, daß eine Taste bei 25 g Belastung noch wieder aufwärtsgeht, so besagt das noch nicht, mit welcher Geschwindigkeit dies passiert. Letztlich bleibt also der erfahrenen Pianistenhand überlassen, zu beurteilen, wie angenehm sich ein Klavier spielen läßt. Dennoch ist die Messung von Niederdruckschwere und Aufgewicht von einigem Wert, denn sie liefert das Maß der Reibungen, die im Spielwerk auftreten.

Vor allem bestimmt sie die Grenze, die einer Änderung der Spielschwere gesteckt sind. Es gibt ja durchaus die Möglichkeit, ein Klavier durch zusätzliches Ausbleien leicht- oder schwergängiger zu machen. Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Piano und Flügel. Die waagerecht ausgerichteten Flügelhämmer liegen mit deutlich höherem Gewicht auf der Taste als die senkrecht stehenden Pianohämmer. Der Flügel hat darum eine hohe Niederdruckschwere, die dadurch ausgeglichen wird, daß man die Vordertaste ausbleit, das Piano jedoch hat ein zu geringes Aufgewicht und wird in der Hintertaste ausgebleit (Abb. 11). Um das Piano leichtgängiger zu machen, müßte man Blei aus der Hintertaste entfernen, beim Flügel müßte man in die Vordertaste zusätzliches Blei einsetzen. In beiden Fällen nimmt man dabei Einfluß auf das Aufgewicht, das dadurch geringer wird. Deswegen kann man die Spielschwere eben nicht beliebig klein machen (unproblematischer ist, sie zu erhöhen). Als Faustregel gilt, daß das Aufgewicht etwa 45% der Niederdruckschwere betragen sollte, um einen lebendigen Tastenrückfall zu gewährleisten. Bei neuen Instrumenten kann man mit fast 50% rechnen, die untere Grenze dürfte bei 40% liegen. Die Spielart läßt sich nur innerhalb dieses Rahmens variieren. Oft kann man deswegen die Mechanikfunktion durch veränderte Ausbleiung nicht verbessern, meist hilft nur eine Herabsetzung der Reibungen durch Erneuerung der Achsen.

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[Abb. 11] Sitz der Bleistöpsel (Pfeil), oben (schwarze) Pianotaste, unten (weiße) Flügeltaste

Da es mit steifen Achsen auch bei fabrikneuen Instrumenten manchmal Ärger geben kann, kann es durchaus nützlich sein, die Höhe der Reibung beim Kauf nachzumessen, bei Gebrauchtkäufen sollte man es sowieso tun. In Ermangelung professioneller Tastengewichte kann man hierzu einfach Münzen benutzen, und da es dabei nur darum geht, das Verhältnis zwischen Niederdruckschwere und Aufgewicht festzustellen, muß nicht einmal das tatsächliche Gewicht der Münzen bekannt sein, man könnte einfach überprüfen, bei wie vielen Münzen die Taste sich abwärts zu bewegen beginnt, und ob sie mindesten 40% davon noch wieder anzuheben vermag (beides bei getretenem rechten Pedal). Für ausreichende Genauigkeit braucht man allerdings Münzgewichte in kleinen Abstufungen, man nimmt also am besten 1-Cent-Stücke. Wer es genau wissen will, findet nachfolgend die offiziellen Gewichte von Euromünzen:

    1 Cent: 2,30 g
    2 Cent: 3,06 g
    5 Cent: 3,92 g
   10 Cent: 4,10 g
   20 Cent: 5,74 g
   50 Cent: 7,80 g
    1 Euro: 7,50 g
    2 Euro: 8,50 g

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